Kaddisch
  Ein kaddischer Tag
 

Sanft werde ich geweckt von den ersten Strahlen der aufgehenden Morgensonne. Ich schaue auf die Uhr - Früher Nachmittag... Ach, ich bleibe noch ein wenig liegen.
Im Halbschlaf versuche ich, aus den Bruchstücken der letzten Nacht eine nahtlose Geschichte zusammen zu puzzlen. Nach drei Stunden gebe ich diesen Versuch auf und zwinge mich aus dem Bett. Das Oberteil meines Tweety-Schlafanzuges trage ich irgendwie verkehrt... Es hängt an meinen Beinen. Von der Hose ist nichts zu sehen.

Etwas verwirrt öffne ich die Vorhänge des Schlafzimmerfensters, ohne daran zu denken, dass ich obenrum nichts anhabe. Glücklicherweise hat niemand etwas gesehen. Naja, wäre ja auch nicht ganz einfach gewesen.
Ich schlurfe zum PC und schalte ihn an, so dass alle mir schreiben, weil sie sehen, dass ich online bin. Natürlich befinde ich mch kurz darauf im Badezimmer und freue mich, dass die anderen auf ihre Antwort lange warten müssen.
Während ich mir die Zähne putze und dabei versuche, den Mageninhalt des letzten Tages in mir zu behalten, überlege ich, wer mir diesmal beim Baden zuhören muss. Ich kann mich nicht entscheiden und wähle deswegen nach dem Zufallsprinzip eine Nummer, schalte den Lautsprecher ein und steige in die Badewanne. Während ich der Stimme lausche und hin und wieder eine völlig sinnfreie Antwort gebe, überlege ich, dass es mal wieder Zeit für eine Rasur wäre. Aber beim Griff zum Rasierer bemerke ich das starke Zittern meiner Hand und beschließe, dieses Wagnis heute nicht einzugehen.
Während die Stimme aus dem Telefon immer noch auf mich einredet und nur von einem gelegentlichen "Halt die Backen!" gebremst wird, wasche ich die Überbleibsel der letzten Alkoholnacht von mir und trockne mich anschließend ab. Erst jetzt wird mir klar, dass meine Kleidung immer noch im Schrank liegt. Ich müsste also völlig unbekleidet ins Schlafzimmer huschen und mich den Blicken zufälliger Beobachter aussetzen. Risiko? Risiko!
Auf dem Weg zum Kleiderschrank sehe ich auf dem gegenüberliegenden Balkon mehrere Personen. Wenigstens die Hälfte von ihnen dürfte real sein - Den Rest schiebe ich mal auf meine alkoholbedingte Vorstellungskraft. Da mir mittlerweile ziemlich kalt ist, renne ich trotzdem zum Schrank, suche mir die erstbesten Klamotten raus und sprinte zurück ins Bad. Im letzten Moment werfe ich noch einen Blick aus dem Fenster und sehe grinsende Gesichter und Finger, die in meine Richtung zeigen. Verdammt!
Aber der Nervenkitzel war trotzdem geil.

Nachdem ich nun fertig bekleidet bin, setze ich mich an den PC und werfe den eifrigen Schreibern ein kurzes "Huhu" entgegen, nur um mich danach in die Küche zu begeben und Frühstück (bestehend aus Kaffee und Zigaretten) zu machen. Die gerade Begrüßten dürfen also wieder warten. Irgendwie macht das Spaß.

Nun wird es aber Zeit, den Tag zu verplanen, Bereits nach zehn Minuten zwischen Internet und Telefon kommen die ersten zwanzig Anfragen, was ich denn heute so vorhätte. Die Hälfte (speziell die nervigen Wie-war-dein-Tag-Frager) wird mit einem "ich mach heute mal einen Ruhigen" abgewimmelt; den Rest (all jene, die mir fast ebenbürtig sind) halte ich mir mit "ich weiß noch nicht" offen.
Während des Toilettenbesuches (ich muss ja später was erzählen können) komme ich allerdings langsam in Partylaune. Die Auswirkungen der letzten Nacht spüre ich mittlerweile eh kaum noch. Und dass ich überhaupt noch klar denken kann, ist für mich Indiz genug, dass der gestrige Abend gar nicht so schlimm gewesen sein kann.
Es ist also beschlossen: Heute Abend wird gefeiert!

Es gibt nur ein Problem: Der Abend ist bereits angebrochen.
Nun muss also alles schnell gehen. Nach einer Telefonorgie sind die Leute informiert (einigen hingegen wird auf kaddisch-höfliche Art abgesagt) und ich stehe vor dem Spiegel und mache mich zurecht. Dabei merke ich, dass die anderen Recht haben: Es dauert nicht lange, mich hübsch zu machen. Etwas Make-Up, ein paar Spritzer Duftwasser, um den kaddischen Geruch zu überdecken und ein paar nette Klamotten, von denen die Leute (fälschlicherweise natürlich) behaupten, ich würde sie immer tragen.

Gerade will ich einen Fuß aus der Tür und ich Richtung Party setzen, da durchfährt mich ein Schmerz im Unterleib.
Die Periode ist da. Der Abend ist vorbei...

www.kaddischbrain.de.tl

 
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